- Dauer: 2 bis 3 Doppelstunden
- Entwickelt: Dr. Annette Schemmel in Dialog mit Eva
Kurzbeschreibung
Warum sind in der Fotoarbeit „Noire et Blanche“ (1926) von Man Ray eine nackte weiße Frau und ein geschnitztes Gesicht zu sehen? Wo kommt die Holzmaske her? Warum hat Man Ray sie auf diese Weise inszeniert? Die Schüler*innen organisieren sich in kleinen Forschungsgruppen, um den Umständen bzw. den Machtverhältnissen zur Entstehungszeit des Kunstwerkes nachzugehen und präsentieren anschließend in einem Rollenspiel der Klasse ihre Ergebnisse.
Ziele
- Bilder kritisch hinterfragen lernen
- Die Begriffe Exotismus und Othering kennenlernen und verstehen
- Die Konstruktion von Differenz und Polarisierung verstehen und koloniale Denkmuster im Heute und Jetzt reflektieren
- Die eurozentristische Weltsicht (der Kunstgeschichtsschreibung) erkennen
- Die Differenziertheit von Ausdrucksformen und von ästhetischen Konzepten des afrikanischen Kontinents erfassen
- Kulturelle Aneignung und Cultural Appreciation verstehen und kritisch hinterfragen
- anhand einer Forschungsfrage mit Recherchemethoden experimentieren
- Forschungsergebnisse auswerten, vorstellen und gemeinsam reflektieren
- Verschiedene Rollen und Perspektiven entwickeln und vertreten
- mit Zweideutigkeit umgehen lernen (Ambiguitätstoleranz)
Ablauf
Intro
Eines der berühmten Fotos des amerikanischen Künstlers Man Ray trägt den Titel „Noire et Blanche“ und wurde 1926 erstmals in der Pariser Zeitschrift Vogue veröffentlicht. Das Foto, das auch in vielen Schulbüchern abgebildet ist, zeigt die Nachbildung einer Portrait-Maske. Derartige Masken wurden traditionell in der Gesellschaft der Baule (heutige Elfenbeinküste) zur Würdigung verdienter Mitglieder der Gemeinschaft im Zuge von Performances aktiviert. Ähnlich wie viele andere moderne Künstler*innen seiner Zeit hat Man Ray sich hier ein außereuropäisches Artefakt angeeignet, um es nach seinem Geschmack in Szene zu setzen.
Im Rahmen einer experimentellen Werkanalyse untersuchen die Schüler*innen die Verstrickungen dieses Kunstwerkes mit den gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen zur Entstehungszeit. Indem detailliertes Kontextwissen über ein westafrikanisches Artefakt von den Schüler*innen selbst recherchiert wird, erweitern sie zudem den Horizont ihres (Kunst-)Geschichtsverständnisses.
In dieser Unterrichtseinheit lernen Jugendliche, sich dem von Man Ray inszenierten Artefakt mit wissenschaftlicher Sorgfalt und aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. So können verallgemeinernde und stereotype Wahrnehmungen von “afrikanischen Kulturen” und Masken abgebaut werden. Wenn sie dann in einem zweiten Schritt diese Perspektiven in einem Rollenspiel als Expert*innen in einer Talk Show selbst verkörpern, können sie sich auf unterhaltsame Weise der Ambivalenz, der künstlerischen Komplexität sowie der möglichen Gewalt von kulturellen Aneignungen wie derjenigen durch Man Ray bewusst werden.
Vorgehensweise
Bildbetrachtung
Man Rays Foto „Noire et Blanche“ wird gemeinsam in der Klasse betrachtet und erste Eindrücke, Beschreibungen und Beobachtungen gesammelt. Was sehen wir? Wie steht der Fotograf, wie stehen Betrachter*innen zur Entstehungszeit und wir heute dem Bild gegenüber?
Ein*e Jugendliche*r kann die gesammelten Eindrücke aufschreiben, um die Beobachtungen zu mappen.
Recherchieren aus verschiedenen Blickwinkeln
Um die Auseinandersetzung zu vertiefen, werden kleine Arbeitsgruppen von 3–4 Personen gebildet. Jede Arbeitsgruppe wählt eines der aufgeführten Themen zur Bearbeitung und entwickelt so eine Art Spezialexpertise zu Aspekten des historischen Fotos. Dazu wird jeder Gruppe ein Arbeitsblatt [LINK] bereitgestellt, das Wissensbausteine und weitere Ressourcen enthält.
Forschungsgruppe 1: Woher kommt die Maske? Welche Funktion hat sie im Entstehungsland? Zur Pflege welcher Traditionen, für welche Rituale wurde sie genutzt?
Forschungsgruppe 2: Wie kamen Porträt-Masken in die Museen des Nordens und warum gibt es seit einigen Jahren die Restitutionsdebatte?
Forschungsgruppe 3: Wie werden afrikanische Artefakte typischerweise von modernen Fotografen des Globalen Nordens inszeniert?
Forschungsgruppe 4: Wer ist die Frau auf dem Foto? Welche Schönheitsideale verkörpert Sie, wie ist sie geschminkt?
Forschungsgruppe 5: Wer ist Man Ray: Wo, wann, warum hat er das Werk so inszeniert? Was können wir herausfinden? Was sind Fakten, was ist Interpretation?
Forschungsgruppe 6: Was ist “Exotismus”? Wann und warum tritt er auf? Was hat Exotismus mit Othering und Rassifizierung zu tun?
Performatives Diskutieren der Ergebnisse als Rollenspiel
Vertreter*innen, Rollenverteilung
Die Präsentation der Recherche erfolgt in einem Rollenspiel der Vertreter*innen der einzelnen Forschungsgruppen.
Diese nehmen passend zu ihrem Recherchethema Expert*innen-Rollen ein, sie verkörpern dann zum Beispiel die Direktorin des Metropolitan Museums, in dem eine ähnliche Maske ausgestellt ist, eine Aktivist*in/ Diskriminierungsbeauftragten, die Othering und Rassismus im Alltag bekämpft, die Herausgeber*in der Vogue, in der das Foto erschienen ist oder Man Ray selbst, der Auskunft über die Entstehung des Werkes gibt, etc.
Wer mag, kann sich mit Requisiten ausstatten, um besser in die Rolle schlüpfen zu können.
Präsentation Talk-Show
Die Lehrkraft übernimmt die Moderation der Talk-Show. Die Expert*innen, die ihr Wissen zur Schau stellen und es mit demjenigen der Anderen vernetzen, können auf ihr “Forschungsteam” zurückgreifen und diesem Fragen weitergeben.
Abschluss
Die Lehrkraft fasst die Ergebnisse zusammen und bespricht abschließend mit der Klasse die Frage: Was hat der Exotismus der europäischen Moderne mit Othering und Rassismus zu tun? Welche Vorstellungen schwingen in verallgemeinernden Begriffen wie “afrikanische Maske” mit? Sammelt Gründe, warum hier differenzierte Bezeichnungen sinnvoll und sogar erforderlich sind.
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Info Autor*innen
Warum sind in der Fotoarbeit „Noire et Blanche“ (1926) von Man Ray eine nackte weiße Frau und ein geschnitztes Gesicht zu sehen? Wo kommt die Holzmaske her? Warum hat Man Ray sie auf diese Weise inszeniert? Die Schüler*innen organisieren sich in kleinen Forschungsgruppen, um den Umständen bzw. den Machtverhältnissen zur Entstehungszeit des Kunstwerkes nachzugehen und präsentieren anschließend in einem Rollenspiel der Klasse ihre Ergebnisse.